Online-Fachtagung „Ich habe was, was Du nicht hast – Sexuelle Bildung in der Kita“
Die diesjährige Online-Fachtagung des Netzwerks Gesunde Kita fand am 01. und 02. Juni statt.
In zwei spannenden Fachvorträgen wurden die Grundlagen sexueller Entwicklung von Kita-Kindern thematisiert und besprochen, wie eine gelingende Elternarbeit zu frühkindlicher Sexualität gestaltet werden kann. Am zweiten Veranstaltungstag konnten die Teilnehmenden in insgesamt vier Workshops unter anderem vertiefen, wie mit sexuell grenzverletzendem Verhalten unter Kindern umgegangen werden kann, welche Methoden sexueller Bildung für die pädagogische Arbeit mit Eltern und Kindern geeignet sind und wie im Rahmen der Körperwahrnehmung auch die Geschlechtsidentität thematisiert wird.
Ein besonderes Highlight stellte der Zusatz-Workshop „Geschichten vom Anderssein“ von Veuve Noire, offizielle „Familienbotschafterin“ der Olivia Jones Familie, dar.
Auf ihrem Instagram-Account schwärmte Veuve Noire später von dem Engagement und der Offenheit der Netzwerk-Kitas und sprach ihren Respekt für die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte aus – was für eine tolle Botschaft, die wir mit Ihnen in der Dokumentation teilen wollen!
Eröffnung und Grußworte
Janet Priebe eröffnet die Online-Fachtagung und begrüßt die Teilnehmenden. Sie gibt einen Überblick über das Netzwerk Gesunde Kita, welches 2021 sein zwanzigjähriges Bestehen feiert. Zur Einführung in die Veranstaltung teilt sie Beobachtungen aus dem Kita-Alltag. Sie stellt heraus, dass die Entwicklung der sexuellen Identität ein wichtiger Baustein für die seelische Gesundheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder ist. Dabei ist ein weiterer Bildungsauftrag der Kita, die Kinder zu schützen. Und das gelingt, wenn sie ihren Körper verstehen und ihre eigenen Grenzen kennen. Dabei ist es wichtig, alle mitzunehmen: die Kinder, die Eltern und alle im Team! Im Sinne von „Licht verändert die Sicht“ soll diese Fachtagung das Thema sexuelle Bildung in der Kita erhellen und Impulse für den Arbeitsalltag geben. Abschließend betont Janet Priebe, wie wichtig es ist, sich untereinander zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen.
Sie lädt alle ein, an einem starken, tragfähigen Netzwerk Gesunde Kita mitzuwirken.
Staatssekretär Michael Ranft begrüßt in seiner Videobotschaft die Teilnehmenden.
Darin betont er die Relevanz sexueller Bildung in der Kindertagesstätte für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung und den Schutz vor sexueller Gewalt. Jedoch kann die Thematik der sexuellen Entwicklung von Kindern Eltern und pädagogische Fachkräfte verunsichern und bleibt oftmals sprichwörtlich „unter der Decke“. Unsicherheiten fußen meist auf zu wenig Wissen, zu wenig Austausch und zu wenig Offenheit. Die Fachtagung des Netzwerks Gesunde Kita leistet hier einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über die kindliche Sexualität und zum präventiven Kinderschutz.
Video-Grußwort des Staatssekretärs Michael Ranft
Stefan Pospiech betont das Engagement und die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie. Er freut sich über das große Interesse und die Bereitschaft der Fachkräfte, sich im Rahmen der Fachtagung der Thematik der sexuellen Bildung in der Kita zu widmen. Darüber hinaus begrüßt er die politischen Bestrebungen, die Kindergesundheit stärker in den Fokus zu rücken und das Kindeswohl im Blick zu behalten.
Fachvortrag 1
„Kuscheln, Liebe, Doktorspiele“: Grundlagen sexueller Entwicklung im Kindergarten
Ralf Pampel, freier Referent
Körperliche Neugier und spannende Fragen rund um das Thema Sexualität gehören zum Alltag in Kindertagesstätten. Vielfältige Ausdrucksformen kindlicher Sexualität sind ein wesentlicher Teil kindlicher Entwicklung und erfordern einen angemessenen, liebevollen und bewussten Umgang. Doch nach wie vor unterliegt die kindliche Sexualität häufig einem Tabu. Wie lässt sich ein fachlich-kompetenter, positiver und angemessener Umgang mit diesem Thema im Kita-Team und in der Arbeit mit den Eltern etablieren? Wie können wir eine sexualfreundliche Kommunikationskultur in der Einrichtung entwickeln? Und wie können wir unsere Kinder stark gegen sexuelle Übergriffe machen und Sorge dafür tragen, dass sie sich ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nehmen? Der Vortrag gibt einen Einblick in das Themenfeld kindlicher Sexualentwicklung und zeigt anhand von Beispielen aus der Praxis die Möglichkeiten auf, wie ein positiver, angemessener, fachlicher und nachhaltiger Umgang mit dem Thema im Kita-Alltag gelingen kann und dabei auch einen maßgeblichen Teil zum Schutz vor sexuellen Übergriffen leistet.
Fachvortrag 2
Elternarbeit zu frühkindlicher Sexualität in der Kita
Agi Malach, BiKoBerlin
Kindliche Sexualität zeigt sich in vielen Facetten und ist ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung von Kindern. Sexuelle Bildung verfolgt dabei einen ganzheitlichen Ansatz, indem nicht nur die Kinder sondern auch Bezugspersonen aus ihrer Lebenswelt eingebunden und unterstützt werden. Wie können Kita- Mitarbeitende und Bezugspersonen Hand in Hand die Kinder sexualfreundlich begleiten? Wie können wir miteinander im offenen Dialog bleiben und Diversität als Bereicherung erleben?
Workshops
Workshop 1: „Ist das noch normal?!“ Umgang mit sexuell grenzverletztendem Verhalten unter Kindern
Ralf Pampel, freier Referent
Das Erkunden und Entdecken des eigenen und anderer Körper, Verliebt-Sein, Doktorspiele und neugierige Fragen von Kindern gehören zum Alltag in Kindertagesstätten, Grundschulen, Hort und in der Familie. Die körperliche Neugier von Kindern ist ein wesentlicher Teil der kindlichen Entwicklung und erfordert einen liebevollen, angemessenen und bewussten Umgang. Dabei führen die vielfältigen Ausdrucksformen kindlicher Sexualität jedoch oft zu Verunsicherungen bei Eltern und Fachkräften. Was gehört zur kindlichen Entwicklung dazu? Was ist erlaubt? Wann werden Grenzen verletzt? Wie gehen wir fachlich richtig mit sexuell grenzverletzendem und übergriffigem Verhalten unter Kindern um? Im Workshop werden anhand praktischer Fallbeispiele die Merkmale sexuell grenzverletzenden oder übergriffigen Verhaltens unter Kindern erarbeitet sowie ein fachlicher Umgang mit diesem Verhalten skizziert und angemessene Handlungsoptionen aufgezeigt.
Workshop 2: Körperwahrnehmung und Wahrnehmung der Geschlechtsidentitäten der pädagogischen Fachkräfte und Kinder
Lisa Funk, freie Referentin
Körperwahrnehmung und Körperbewusstsein: Was ist das überhaupt? Wie hängt die Körperwahrnehmung mit der Geschlechtsidentität zusammen? Wie kann ich die Wahrnehmung der Kinder stärken? Als Bezugsperson der Kinder können pädagogische Fachkräfte ihnen helfen, ein gesundes Körperbewusstsein zu entwickeln. Mit ihrer Einstellung und ihrem Verhalten prägen auch sie die sexuelle Identität der Kinder. In einem interaktiven Workshop beantworten die Teilnehmenden gemeinsam aufkommende Fragen und sammeln praktische Ideen, um die verschiedenen Sinne der Kinder zu stärken. Die Teilnehmenden bearbeiten in Gruppenarbeit, Diskussionen und Methoden der Selbsterfahrung die Themen des Workshops.
Workshop 3: Methoden Sexueller Bildung und Konzeptarbeit im Kindergarten
Maik Hoffmann, Netzwerk- und KOKiB-Kita „Zauberstein“
Die Teilnehmenden beleuchten alltägliche Aspekte von sexueller Bildung bei Krippen- und Kindergartenkindern. Worin besteht der Bildungsauftrag zu diesem Thema, welche Materialien, welche Raumelemente, welche organisatorischen Strukturen und Abläufe helfen und unterstützen die Entwicklung der Kinder? Angeregt von Beispielen aus dem Kindergarten Zauberstein kommen die Teilnehmenden in den Austausch über Inhalte sexueller Bildung in der Kita und deren praktische Umsetzung. Als Konsultationskita des Landes Brandenburg im KoKiBProjekt berät die Kita Zauberstein Einrichtungen und Fachpersonal zum Schwerpunkt sexuelle Bildung in der Kita. Die Einrichtung pflegt einen bewussten pädagogischen Umgang mit der Begleitung der kindlichen sexuellen Entwicklung, stellt dazu gern ihre Konzeption und Arbeitsweise vor und lädt zu Besuchen und Gesprächen ein.
Adresse: Goethestraße 93, 16540 Hohen Neuendorf
Kontakt: maik.hoffmann@independentliving.de
Workshop 4: Methodenworkshop Elternarbeit in der Kita
Agi Malach, BiKoBerlin
Sexuelle Bildung von Anfang an! Menschen sind von Geburt an sexuelle Wesen und die sexuelle Selbstbestimmung ein bedeutsamer Baustein der gesunden Entwicklung von Kindern. Sexuelle Mündigkeit ist Grundvoraussetzung, um die eigene Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung sowie individuelle Bedürfnisse bewusst erforschen und Grenzen setzen zu können. Die Teilnehmenden beschäftigen sich im Workshop mit den Fragen: Wie können das Kita-Team sowie Erziehungsberechtigte Hand in Hand die Kinder sexualfreundlich begleiten sowie eine vertrauensvolle und wohlwollende Atmosphäre schaffen? Wie können wir Erziehungsberechtigten Anregungen geben, um einen individuell passenden Umgang mit dem Themenfeld der kindlichen Sexualität zu finden und weiterzuentwickeln?
Wie können wir Sorgen, Bedenken oder Widerständen begegnen? Im Workshop erhalten die Teilnehmenden erste Anregungen für die Gestaltung eines thematischen Elternabends.
Zusatz-Workshop: Geschichten vom Anderssein
Veuve Noire, offizielle Familienbotschafterin der Olivia Jones Familie
Mit Glanz und Glamour betritt Veuve Noire das Zoom-Meeting und spricht in ihrem Vortrag über das Projekt „Olivia macht Schule“, ihre Lebenserfahrungen und ihre Sicht auf die Welt. Zu Beginn betont Veuve Noire die Relevanz, sexuelle Identität und Körperbewusstsein so früh und selbstverständlich wie möglich zu thematisieren. Je früher Aufklärung und Vielfalt und Diversity angesprochen werden, desto eher werden wir zu einer Gesellschaft, die individuelle Persönlichkeiten und sexuelle Identitäten akzeptiert, wie sie sind. Obwohl wir in Schubladen denken und Kategorien bilden,müssen wir uns bewusst machen und aufzeigen, welche Vielfalt es gibt! Wir müssen uns selbst reflektieren und uns fragen, welche Vorurteile wir haben, ob wir diese weitergeben und wie sie uns vielleicht davon abhalten, mit anderen Menschen in Beziehung zu gehen. Aus ihren Erfahrungen mit „Olivia macht Schule“ gibt sie Tipps und Anregungen, die Themen sexuelle Identität, Vielfalt und Körperbewusstsein spielerisch und selbstverständlich im Kita-Alltag aufzugreifen und die Neugier der Kinder zu nutzen. Denn Neugier auf Wissen schafft den Übergang zu Toleranz und ebnet den Weg zu Akzeptanz.
Hier geht es zum Vortrag der Fachtagung:
Link zum Vortrag auf YouTube
Veuve Noire hat in den sozialen Medien von unserer Fachtagung berichtet und war sehr angetan von der Arbeit im Netzwerk Gesunde Kita:
Link zum Video auf YouTube
Schlusswort
Sexuelle Bildung von Kindern im Kita-Alter ist ein wichtiges Thema, welches nicht unter der Decke bleiben darf und für das Worte gefunden werden müssen. Auch wenn nicht über sexuelle Bildung gesprochen wird, findet sie statt, dann aber leider entwicklungshemmend und in einer Weise, welche die Kinder verunsichern kann. Kinder haben sehr feine Antennen und lernen schnell, bestimmte Fragen nicht zu stellen. Die Fragen und Gedanken bewegen das Kind jedoch trotzdem. Hier sind eine offensive Ansprache und altersangemessene Angebote die Aufgabe der Bezugspersonen und Fachkräfte, die so das Signal senden: Ich bin in zu diesem Thema eine Ansprechperson für dich!
In den Fachvorträgen und während der Zusammenarbeit der pädagogischen Fachkräfte in den Workshops wird überdeutlich, wie eng die sexuelle Entwicklung mit der seelischen Gesundheit und einem gesunden Heranwachsen der Kinder verbunden ist.Die Fachtagung gibt hierbei einen Einblick, welche Schritte gegangen werden müssen, um eine gelingende sexuelle Bildung in der Kita zu gestalten. Die Entwicklung eines gesunden Körperbewusstseins, das Setzen von Grenzen und der Umgang mit grenzverletzendem Verhalten, Methoden der sexuellen Bildung und Elternarbeit sind wichtige Bausteine dafür. Kinder, die ihre eigenen Grenzen kennen, können besser dafür sorgen, dass diese nicht überschritten werden – ein starker Beitrag im Sinne des Kinderschutzes.
Dabei braucht es manchmal nicht viel, um das Thema Sexualität und Körperbewusstsein im Kita-Alltag zu vermitteln. Spielzeug und Bücher, die für Vielfalt sensibilisieren, Thementage oder einfach geschützte Orte in der Einrichtung, an die sich Kinder zurückziehen können, sind ein guter Anfang. Die pädagogischen Fachkräfte können Vertrauen haben, dass bereits kleine Impulse große Wirkung erzielen, wenn sie im Alltag die Neugierde der Kinder nutzen und selbst eine offene, unaufgeregte Haltung einnehmen. Ganz nach dem Motto: Was brauchst du von mir? Was wünsch ich mir von dir?
Die Fachtagung hat gezeigt, wie wichtig es ist, trotz eventueller Unsicherheiten Worte zu finden und gemeinsam mit Eltern und Bezugspersonen den Kinder in ihrer Entwicklung fachlich, mutig und mit Herz zur Seite zu stehen, Gespräche zu führen, ihnen Raum und Zeit zu lassen und sie zu begleiten.